Ghostbike-Aufstellung am 29.
Juli 2022 in der Baumeisterstraße in Karlsruhe
Wieder hat es in Karlsruhe
einen tödlichen Fahrradunfall gegeben. Es ist zwar der erste in diesem Jahr
hier in der Stadt, aber dennoch wieder einer zu viel.
Mein Name ist Michael
Reichert. Ich bin beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club und dem Fuß- und
Radentscheid Karlsruhe aktiv. Im Namen der Critical Mass überbringe ich unsere
Anteilnahme und das aufrichtige Beleid.
Zum Unfallhergang schrieb die
Polizei in ihrer Pressemitteilung:
Am 21. Mai sei er, 58 Jahre
alt, gegen 7:45 Uhr mit dem Fahrrad auf der Baumeisterstraße Richtung Osten
gefahren. Auf Höhe der Einfahrt zum Staatstheater habe er nach links abbiegen
wollen. Hierzu habe er Handzeichen gegeben und offenbar unmittelbar danach zum
Überqueren der Straße eingelenkt, ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten.
Anschließend sei eine 65-jährige Frau mit ihrem Auto mit ihm kollidiert. Er
sei, so drückt es die Polizei aus, "aufgeladen" und über die Straße
geschleudert worden. Schwere Kopfverletzungen habe er erlitten. Die
Polizeimeldung endet mit den Worten, dass er keinen Helm getragen habe.
Am 3. Juni starb Martin
Scheffer, Bühnenhandwerker im Staatstheater, im Krankenhaus.
Laut Auskunft der Polizei hat
der hinzugezogene Gutachter den Unfallhergang mittlerweile bestätigt. Es laufen
noch strafrechtliche Ermittlungen gegen die Autofahrerin.
Die Pressemitteilung der
Polizei ist nicht in Ordnung. Ihre Wortwahl ist unangemessen. Akkus, Kisten
oder Paletten werden aufgeladen. Menschen werden nicht aufgeladen, sie werden
gerammt und durch die Luft geschleudert.
Die Pressemitteilung schob
einem der beiden Unfallbeteiligten die Schuld zu, ohne dass die Untersuchungen
zum Unfallhergang abgeschlossen waren. Sie verschwieg, dass Martins Fahrrad
einen Rückspiegel hatte. Dieser sei, so sagte mir seine Witwe, auch am
Unfallort gefunden worden. Auch seine beiden Rennräder hätten einen Rückspiegel
gehabt. Die Angehörigen sind darüber verärgert, dass die Pressemitteilung
derart einseitig ausfiel. Denn, wer einen Rückspiegel hat, braucht seinen Kopf
nicht zu drehen und für den Kfz-Verkehr links neben einem hat man Ohren.
Dementsprechend
fahrradfeindlich fiel die Diskussion auf der Facebook-Seite des
Polizeipräsidiums Karlsruhe aus. Sie, die Fahrradfahrer, seien selber schuld,
wenn sie selbstmörderisch ohne zu schauen, abbiegen würden. Hier wünsche ich
mir, dass die Pressestelle der Polizei, die dieses Forum betreibt, moderierend
eingreift.
Wer am Verkehr teilnimmt
hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr,
als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Das steht so 1:1 in Paragraph 1 StVO. Das heißt,
Linksabbieger müssen ihrerseits auf nachfolgenden Verkehr achten. Der
nachfolgende Verkehr, hier die Autofahrerin, muss aber so fahren, dass ihre
Fahrweise niemanden gefährdet. Tempo 50 heißt nicht, 50 fahren zu müssen. Wenn
die Sonne einen blendet und man nicht gescheit sieht, muss man entsprechend
langsamer fahren.
Die Polizei wirbt gern und
andauernd für Fahrradhelme. Dieser Hinweis ist hier unangebracht. Helme
verhindern keine Unfälle, sie reduzieren höchstens die Folgen. Sie sind aber
auch nicht für die Kräfte, die bei Unfällen wie diesem wirken, gemacht. Sie
sind für Stürze in Radfahrgeschwindigkeit gemacht, also weniger als 20 km/h,
gegen feste Hindernisse, z.B. Bordsteine und Mauern. Gegen die kinetische
Energie von 50 km/h genügt kein dünne Styropor-Verpackung.
Was verhindert
dann diese Unfälle? Es gibt kein Patentrezept gegen diese Ramm-Unfälle beim
Linksabbiegen. Auch wenn Radwege durch hohe Bordsteine oder Poller-Reihen von der
Fahrbahn getrennt sind, muss man irgendwann links abbiegen. In Dänemark ist das
wie hier praktizierte "direkte Linksabbiegen" verboten. Dort müssen
Radfahrende erst geradeaus über die Kreuzung fahren, um dann links abbiegen zu
dürfen. Das darf aber nicht die Lösung sein. Die Gefahr geht vom Autoverkehr
aus, nicht von den Radfahrenden.
Ein gewaltiger Schritt zu
mehr Sicherheit wäre eine geringere Geschwindigkeit. Bei Tempo 50 sterben 7 von
10 überfahrenen Fußgängern, bei Tempo 30 nur noch jeder Dritte. Weitere Unfälle
werden schon dadurch vermieden, weil die Anhaltewege kürzer sind. Das gilt auch
für andere ungeschützte Verkehrsteilnehmer, z.B. Radfahrende.
Wer Sicherheit für
ungeschützte Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer will, muss sich für
langsames Fahren einsetzen. Tempo 30 hätte hier diesen Unfall verhindern oder
die Folgen abmildern können. Die Bundesverkehrsminister wollen aber nicht, dass
Unfälle verhindert werden. Die von ihnen erlassene StVO gestattet Tempo 30 auf
Hauptstraßen nur bei einer qualifizierten örtlichen Gefahrenlage. Eine solche
existiert erst nach Unfällen. Das heißt, es muss an diesen Orten Menschenopfer
geben, damit der Verkehr dort sicherer wird.
Ich möchte die
Stadtverwaltung hiermit bitten, Tempo 30 für die Straßen zu prüfen, die wie die
Baumeisterstraße Straßenbahnschienen in der Fahrbahn und einen Radfahrstreifen
am Rand haben. Ein weißer Trennstrich ist keine Infrastruktur. Tagtäglich
gefährden Falschparker auf diesen Radfahrstreifen Radfahrende und zwingen sie
zum Ausweichen in den Gleisbereich und den fließenden Kfz-Verkehr. Wenn die
Stadtverwaltung diese Radfahrstreifen nicht durch Poller schützen möchte und
nicht in der Lage ist, dem Falschparken durch konsequentes Einschreiten Herr zu
werden, bleibt nur noch Tempo 30 übrig.
Das heißt Tempo 30 für
Baumeisterstraße, Karlstraße, Rüppurrer Straße, Moltkestraße,
Haid-und-Neu-Straße, Karl-Wilhelm-Straße und Kapellenstraße jetzt!
Ich möchte euch nun bitten,
für den Verstorbenen dreimal zu klingeln und dann eine Schweigeminute für ihn
abzuhalten. Anschließend stellen wir das Ghostbike auf und fahren weiter über
Mühlburg und die Nordweststadt zum Reallabor in der Karlstraße.
Oben erwähnte Facebook-Diskussion:
https://www.facebook.com/PolizeipraesidiumKarlsruhe%20/photos/a.462403477140496/5040323472681784/