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Mittwoch, 25. März 2020

BNN Artikel zu 5 Jahre Critical Mass von Kirsten Etzold

BNN Artikel zu 5 Jahre Critical Mass von Kirsten Etzold
BNN 25. März 2020
Radfahrer wollen die Hefe im Teig sein
60. Critical-Mass-Ausfahrt in Karlsruhe: Teilnehmer kritisieren Stillstand statt Verkehrswende
Von unserem Redaktionsmitglied Kirsten Etzold
Mehr Platz fürs Rad: Was der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) seit 2019 fordert, dafür treten in Karlsruhe schon seit fünf Jahren verkehrspolitisch Engagierte in die Pedale. Mit gemeinsamen Ausfahrten am letzten Freitag jedes Monats seit März 2015 wollen sie eine kritische Masse sein. So heißt ihre internationale Bewegung, auf englisch: Critical Mass. In der Chemie nennt man so eine kleine Menge einer Substanz, die viel auslöst, etwa Flüssigkeit überschäumen lässt. So wie Hefe einen Teig aufgehen lässt, so wollen diese nicht formal organisierten, aber höchst aktiven Radfahrer erreichen, dass sie im Stadtverkehr nicht länger im Schatten von Autos und Lkw stehen.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Radfahrer sich wieder am Kronenplatz treffen, um 18 Uhr starten und eine Runde durch die Stadt drehen. Die Critical-Mass-Ausfahrt Ende März ist wegen des Coronavirus vertagt. Doch sie wird die 60. in der Fächerstadt sein. Die runde Zahl ist für die Aktiven gerade kein Grund zu feiern. Ein Programm mit kritischem Rückblick ist vorbereitet.

Rund 8.700 Fahrtteilnehmer zählen die Organisatoren bisher. Nach 644 Aktiven im Startjahr bringt im Sommer 2016 eine Ausfahrt über die Herrenalber Straße die 1.000 Teilnahme. 2017 kommen insgesamt rund 1.300 Teilnehmer, mehr als 2.000 sind es im Jahr 2018 und schon 3.500 Radler 2019. Zur Premiere gehen 160 Radler an den Start. Der Dezembertermin ist fast eine Nullnummer, aber seither gibt es keine Winterpause mehr. Im September 2019 rollen mehr als 700 Radler gleichzeitig an – das ist vorläufiger Rekord.

Von Anfang an sind Christa Walter und der Karlsruher ADFC-Vorsitzende Ulrich Eilmann bei der Critical Mass dabei. „Fünf Jahre sind zu lang“, betont Walter, die bei jedem Wetter zu den Ausfahrten kommt. Ihre Packtaschen stecken voller Warnwesten mit Logo, Info-Material und Plakaten für Teilnehmer. Darauf stehen Slogans wie „Fahrradlust statt Dieselfrust“, „Das Klima kippt – handelt!“ oder „Verkehrsfläche gerecht verteilen“.

Die vielen Bahngleise in der Stadt fordern mehr Planung von den Critical-Mass-Akteuren in Karlsruhe als in anderen Städten. Unter anderem deshalb melden die Karlsruher seit 2016 an, wohin ihre Radausfahrten führen. Neben eigenen Ordnern hält seither auch Polizei den Radfahrern den Rücken frei. Obwohl das Verkehrsrecht Radlern in Gruppen erlaubt, im Verband zu rollen und nicht einzeln hintereinander, und trotz Demonstrationsfreiheit brauchen die Menschen, die gegen Auto-Privilegien und für eine Verkehrswende ausradeln, diesen Schutz.

„Bevor uns die Polizei begleitet hat, sind manche aus Angst nicht mitgefahren“, erzählt Christa Walter. Mehrfach steuern Autofahrer laut hupend auf die Gruppe zu. Einmal lenkt ein Autofahrer seinen Pkw quer durch den Pulk. „Alle Radfahrer haben zum Glück sofort gebremst. Kaum zu glauben, dass da nichts passiert ist“, erinnert sich Eilmann. Auch ihn bedrängt, als er das Feld von hinten beobachtet, einmal ein Pkw-Fahrer. Ein wütender Autofahrer rammt bei einer Ausfahrt einen Fahrradanhänger. „Ich war Zeuge, aber der Geschädigte wollte die Mühe einer Anzeige nicht auf sich nehmen“, erzählt der ADFC-Vorsitzende. Er bedauert das. Die Behörde habe Interesse, bei Gefahr einzuschreiten, auch wenn zum Beispiel eine Kreuzung wild zugeparkt sei.

„Ich würde mir wünschen, dass man nach fünf Jahren Critical Mass nicht immer noch wegen jeder Kleinigkeit betteln muss“, sagt Eilmann. Er findet, Radfahrer hätten „Scheu, die Anwendung geltender Gesetze einzufordern – es ist halt auch mühsam“. Jeder könne Anzeige erstatten, indem er einen Missstand fotografiere und das Bild mit Beschreibung des Sachverhalts ans Bürger- und Ordnungsamt schicke – etwa die oft zugeparkte neue Radroute 15 vom Durlacher Tor stadtauswärts. Folgenloses Anprangern im Internet hingegen lehnt Eilmann ab. Das sei „populistisches Gezänke“.
EIN BILD AUS FRÜHEN TAGEN: Im Juni 2016 rollen Karlsruher Radler bei einer Critical-Mass-Ausfahrt über die Herrenalber Straße. Einige Teilnehmer tragen signalfarbene Westen, sie begleiten und ordnen das Geschehen bei Bedarf. Schon damals eskortiert Polizei die Gruppe. Dahinter staut sich der Autoverkehr. Archivfoto: jodo

Badische Neueste Nachrichten | Karlsruhe | KARLSRUHE | 19.03.2020
Radelnde Familien beanspruchen die Straße
Doppelpremiere: Protestausfahrt Kidical Mass startet bald auch zeitgleich in Karlsruhe und Ettlingen
Von unserem Redaktionsmitglied Kirsten Etzold

„Platz da für die nächste Generation“: Mit dieser Forderung rollen inzwischen mehr als 110 deutschsprachige Organisationen des Aktionsbündnisses „Kidical Mass“ auf die Straße. Nun kommt die Kidical-Mass-Bewegung auch nach Karlsruhe und Ettlingen. Fix und fertig vorbereitet ist, dass dort eine Doppelpremiere stattfindet – nämlich dann, wenn bald erstmals in ganz Deutschland und der Schweiz zeitgleich Protestfahrten mit Kindern und Familien starten. Der geplante März-Termin ist wegen des Coronavirus hinfällig, der neue Starttermin ist noch zu bestimmen. Vorbild sind die Critical-Mass-Radlerdemos, zu der auch in Karlsruhe seit fünf Jahren jeden Monat oft Hunderte Erwachsene starten. Die Doppelpremiere in Karlsruhe und Ettlingen organisiert der Kreisverband Karlsruhe des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC).
Insgesamt sind mehr als 70 kindgerechte Fahrraddemos geplant, von Aachen bis Zürich, auch in Heidelberg, Speyer, Freiburg und Stuttgart.
Der elfjährige Johann weiß, wie er sich Unterwegssein in der Stadt wünscht: „Bequem nebeneinander Rad fahren und quatschen können – und keine Autos mehr vor meiner Schule.“ Der Traum vom Schulweg ohne Autos ist in Wien schon wahr. Die österreichische Hauptstadt sperrt eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn inzwischen bereits fünf Schulstraßen für Autos. Damit ist das auch in Karlsruhe verbreitete Problem mit „Eltern-Taxis“ passé. Den Akteuren der Kidical Mass geht es um eine Verkehrswende, die Radfahren in jedem Alter ermöglicht und attraktiv macht. Zu schmale, ungeschützte oder gar keine Radwege: Haben Eltern Angst um ihre Kinder, fahren sie den Nachwuchs lieber mit dem Auto durch die Gegend. 85 Prozent der Befragten in Großstädten und 74 Prozent insgesamt gaben im ADFC-Fahrradklima-Test 2018 an, man könne Kinder nur mit schlechtem Gefühl allein Radfahren lassen. Auch in Karlsruhe fanden das viele Umfrageteilnehmer.
Ein bedenklicher Trend verschärft die Lage: Immer weniger Kinder können sicher Radfahren, auch in der Fahrradstadt Karlsruhe. Das weiß der Karlsruher ADFC-Vorsitzende Ulrich Eilmann von Schulleitern unter den aktuell 1.800 Clubmitgliedern.
Wenn Eltern befürchten, ihre Tochter oder ihr Sohn könne sich beim Radfahren verletzen, passiert laut Eilmann immer öfter dies: „Sie bringen ihrem Kind das Radfahren gar nicht bei.“ In der Schule reiche die Zeit nicht, um blutige Anfänger auf die Radfahrprüfung vorzubereiten, mit der die Verkehrswacht Karlsruhe die Kompetenz von Viertklässlern testet. Nur wer die Prüfung besteht, erhält den Fahrradführerschein. Damit das möglichst viele Kinder schaffen, baut der ADFC Karlsruhe jetzt ein verkehrspädagogisches Angebot für Erst- und Zweitklässler auf. Mit einem mobilen Parcours für Roller wollen die Aktiven an Schulen kommen. „Da kann man gut das Gleichgewicht trainieren und ruhig auch mal umkippen“, erklärt Eilmann.
„Die eigenständige Mobilität ist enorm wichtig für die kindliche Entwicklung. Sie fördert Bewegung, Selbstbewusstsein und das soziale Miteinander“, sagt die Kidical-Mass-Mitorganisatorin Simone Kraus. Damit sich in Städten auch Kinder sicher und selbstständig mit dem Fahrrad bewegen können, stehen auch ein lückenloses Netz sicherer Schulradwege und generell Tempo 30 innerorts auf der Liste.
Eine Fahrradstadt, sagen die Kidical-Mass-Initiatoren, sei automatisch kinderfreundlich, mit viel Grün, guter Luft und Platz zum Spielen und Verweilen. Dass eine Familie auf guten Radwegen zudem sauber, leise und schnell am Stau vorbeikommt, weiß im Kombibau-Karlsruhe eh jedes Kind. Die Politik tue viel zu wenig, um die Situation zu verbessern, findet die Initiative. Für eine Verkehrswende brauche es mehr. Bloße Markierungen auf viel befahrenen Straßen reichten ebenso wenig aus wie Fahrradstraßen, die für Durchgangsverkehr offen sind. Genau das – Durchgangsverkehr trotz Fahrradstraße – ist typisch für Karlsruhes Fahrradstraßen. Radfahrer sind da häufig an den Rand gedrängt. Einzige Ausnahme ist der Zirkel. Dort bremst seit Juli 2019 – wenn auch bisher offiziell nur versuchsweise – eine Durchfahrsperre Autos aus.
Erste deutsche Kidical-Mass-Ausfahrten gab es 2017 und 2018 in Berlin, Darmstadt, Stuttgart und Köln. 2019 folgten 30 Kidical-Mass-Fahrten in Deutschland und der Schweiz, die größte mit rund 1.100 Teilnehmern. Die Ausfahrten sollen auch die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an politischen Entscheidungen fördern.

MIT KIND UND KEGEL: Familien erobern Stadtstraßen bei Kidical-Mass-Ausfahrten. Vorbild für die Aktion sind mehrere große deutsche Städte wie zum Beispiel Dortmund. Die Doppelpremiere für Karlsruhe und Ettlingen haben Aktive des ADFC fix und fertig vorbereitet. Archivfoto: ADFC






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