„Jedes Mal, wenn die Polizei aufgrund meiner Anrufe Strafzettel verteilt hat, war die sogenannte Tatbestandsnummer falsch gewählt worden“, erklärt Rest. Diese Nummern sind in einem bundeseinheitlichen Katalog des Kraftfahrtbundesamtes aufgelistet und regeln, wie hoch das Verwarnungsgeld für ein bestimmtes Verhalten ist.
Laut Bjarne Rest wählen die Beamten des Polizeireviers West häufig einen Tatbestand aus, der für den Autofahrer billiger ist. So geschehen zum Beispiel am Ostermontag: Da rief Rest die Polizei, weil ein schwarzer Pkw an der Kreuzung Stösserstraße/Kanonierstraße auf dem Gehweg stand, und das ordnungswidrig weniger als fünf Meter von den Schnittpunkten der Fahrbahnkanten entfernt.
„Er stellte eine Gefährdung dar, beispielsweise für Kinder, die wegen der Körpergröße keine Sicht auf die Kreuzung haben“, erklärt Rest. Die Polizei sei nach einer Viertelstunde vor Ort gewesen und hätte einen Strafzettel über 15 Euro wegen Parken im Kreuzungsbereich ausgestellt.
Nach Ansicht von Rest die falsche Wahl: Denn für das Parken auf dem Gehweg wären 30 Euro Verwarnungsgeld fällig gewesen. Rest habe die Beamten auf den schwerwiegenderen Tatbestand hingewiesen, sei aber nicht beachtet worden. Auch ein Abschleppen sei für die Polizisten „unter keinen Umständen in Betracht“ gekommen, da man „die Bürger nicht zu sehr belasten“ dürfe, zitiert Rest das Gespräch. „Ich wies darauf hin, dass die ständige Rechtsprechung, also Gerichtsurteile, genau das Gegenteil besagen und er als Polizist in der Pflicht steht, die Gefährdung zu beseitigen.“ Weil die Beamten das Fahrzeug nicht abschleppen lassen wollten, legte Rest einen Zettel an die Windschutzscheibe mit der Bitte an den Fahrer, das Auto zu entfernen. Daraufhin hätten die Beamten ihm vorgeworfen, den Autofahrer genötigt zu haben. „Mir wurden sogar Konsequenzen angedroht“, sagt Rest. „Ich vermute, dass der Polizist mit dieser Einschüchterung zukünftige Anrufe von mir verhindern wollte, da er keine Lust darauf hat.“
Rest wurde bereits zum Gespräch ins Polizeirevier gebeten
Es war nicht das erste Mal, dass Polizisten nach Rests Ansicht zu niedrige Bußgelder verhängt hatten. Zum ersten Mal beschlich den Informatikstudenten dieser Verdacht am 6. Januar, als Beamte einen Strafzettel wegen Parken im absoluten Halteverbot schrieben – für ein Auto, das auf dem Gehweg stand. „Es sollte eigentlich jedem Polizisten klar sein, dass sich die Beschilderung ‚absolutes Halteverbot‘ immer auf die Fahrbahn bezieht und nicht auf den Gehweg“, sagt Rest. „Somit stand das Fahrzeug gar nicht im absoluten Halteverbot.“ Weil er damals noch davon ausging, dass nur dieser eine Polizeibeamte zu geringe Bußgelder verhängte, reichte Rest Fachaufsichtsbeschwerde im zuständigen Polizeirevier West ein. Daraufhin wurde der Student zu einem Gespräch eingeladen.
Der zuständige Erste Polizeihauptkommissar habe ihm bestätigt, dass immer der höherwertige Verstoß geahndet werde. Auf BNN-Anfrage äußerte sich ein Sprecher des Polizeipräsidiums allerdings anders: „Es muss nicht grundsätzlich die teurere Tatbestandsnummer sein, die angewandt wird“, so seine Auskunft. Vielmehr müssten die Beamten auf die Kausalität achten: „Beim Parken auf dem Gehweg mit Behinderung von Fußgängern ist daher zu prüfen, ob die Behinderung der Fußgänger dadurch hervorgerufen wurde, oder ob sie auch gegeben wäre, wenn das Fahrzeug auf der Fahrbahn gestanden hätte“, so der Polizeisprecher.
Polizei und Ordnungsamt handeln nach unterschiedlichen Grundsätzen
Das Karlsruher Ordnungsamt wiederum handelt nach anderen Grundsätzen. „Bei der Verletzung mehrerer Vorschriften im Rahmen einer sogenannten Tateinheit wird immer der schwerwiegendste Verstoß geahndet“, so ein Sprecher der Stadt. Das sei „in der Regel der Tatbestand mit der höchsten Geldbuße.“
Laut Rechtsanwalt Arne Bodenstein, Experte für Verkehrsrecht aus Karlsruhe, gibt es hierzu aber keine Pflicht. „Es liegt im Ermessen der Beamten, ob sie eine Ordnungswidrigkeit verfolgen und wie sie die Situation bewerten.“ So könnten Polizei und Ordnungsamt nicht nur entscheiden, ob sie überhaupt einen Strafzettel ausstellen, sondern auch, für welchen Tatbestand. Das Gehwegparken sei ohnehin eine umstrittene Materie, erklärt Bodenstein: Laut manchen Gerichten liege erst eine konkrete Behinderung vor, wenn weniger als 1,20 bis 1,50 Meter Platz bleiben. Andernfalls könne man die Tatbestandsnummer 112403 gar nicht anwenden.
Karlsruher Ordnungsamt hat
klare Abschlepp-Richtlinien
Der Polizeihauptkommissar im Revier West wollte aber immerhin ein Gespräch mit dem Beamten ansetzen, der den Strafzettel ausgestellt hatte. Getan hat sich seitdem aus Sicht von Bjarne Rest nichts. Der Student kritisiert ohnehin nicht nur die niedrigen Bußgelder der Polizei, sondern vor allem auch die Tatsache, dass sie Falschparker nie abschleppen lasse.
Anders sei das beim Karlsruher Ordnungsamt: „Im Gespräch sind die meisten Bediensteten des Ordnungsamtes viel offener und reagieren nicht so ablehnend wie manche Polizeibeamten“, findet Rest. Die Stadt hat auf ihrer Website klare Richtlinien veröffentlicht, wann Autos abgeschleppt werden. „Daran halten sich die Beamten auch meistens.“ Nach den städtischen Grundsätzen wären vermutlich in den meisten Fällen, die Bjarne Rest kritisiert, die falsch parkenden Autos abgeschleppt worden. An Sonn- und Feiertagen sowie nachts und in sehr dringlichen Fällen ist aber anstelle des Ordnungsamts die Polizei zuständig.
Polizisten sind nicht verpflichtet, Autos abschleppen zu lassen
Und die habe keine derlei klaren Regeln, sagt Rest. Ein Polizeisprecher bestätigte auf BNN-Anfrage, dass die Abschlepprichtlinien der Stadt für die Polizisten nicht bindend seien. Die Entscheidung, ob abgeschleppt wird, stelle „stets eine Einzelfall- und eine Ermessensentscheidung dar.“ Im Gegensatz zum Ordnungsamt konnte das Polizeipräsidium Karlsruhe keine Zahlen nennen, ob und wie oft Polizisten in Karlsruhe Fahrzeuge abschleppen lassen. Verschiedene Faktoren würden im Einzelfall abgewogen, etwa die Art und Intensität der Gefährdung, örtliche Gegebenheiten wie Verkehrsaufkommen und Fahrbahnbreite oder auch die sonstige Auftragslage der Polizei. Die Beamten sind also nicht verpflichtet, falschparkende Autos abschleppen zu lassen. Das bestätigt ADAC-Vertragsanwalt Arne Bodenstein. Vielmehr müsse eine Abschleppanordnung immer verhältnismäßig sein, und die Voraussetzungen dafür seien sehr streng. „Das einfache Falschparken an sich rechtfertigt noch kein Abschleppen, im Gegenteil“, sagt Bodenstein. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hätte 2008 sogar entschieden, dass die Stadt die Kosten für das Abschleppen eines Autos tragen müsse, das an einer Engstelle so geparkt war, dass nur noch 2,50 Meter Platz blieben. „Ein Fahrradfahrer hat keinen Anspruch darauf, dass abgeschleppt wird, nur weil er sich persönlich gefährdet fühlt“, sagt Bodenstein. „Er darf sich nicht darauf verlassen, dass er immer frei fahren kann.“
Zweite Fachaufsichtsbeschwerde an Polizeipräsidentin Caren Denner
Bjarne Rest hat trotzdem erneut eine Fachaufsichtsbeschwerde eingereicht. Diesmal richtet sie sich gegen das gesamte Polizeirevier West, adressiert ist sie direkt an Polizeipräsidentin Caren Denner. Das Polizeirevier weigere sich regelmäßig, „gefahrenabwehrende Maßnahmen zum Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer durchzuführen“, heißt es in der Beschwerde, die den BNN vorliegt. Rest sieht die Beamten in der Pflicht, Falschparker abschleppen zu lassen, wenn sie eine konkrete Gefahr für andere seien. In Berlin beispielsweise sei das gängige Praxis.
„Ein falschparkendes Kraftfahrzeug im Einmündungs- und Kreuzungsbereich erschwert die Übersicht in diesen Bereichen, verkürzt die Reaktionszeit der Verkehrsteilnehmer bei einbiegendem oder kreuzendem Verkehr und erhöht die Gefahr von Unfällen“, schreibt er. Das Abschleppen sei daher verhältnismäßig, findet Rest. Er beruft sich auf die deutlich strengeren Grundsätze des Ordnungsamtes, das seiner Erfahrung nach teurere Strafzettel ausstellt und häufiger abschleppt – und auf zahlreiche Urteile von Gerichten aus ganz Deutschland, die entschieden haben, dass das Abschleppen von Fahrzeugen rechtmäßig ist, wenn sie eine Verkehrsbehinderung darstellen.
Der Polizeibeamte, der sich am Ostermontag geweigert hatte, das Fahrzeug an der Kreuzung abschleppen zu lassen, war anderer Meinung. Ob sein Handeln gerechtfertigt war, prüft die Polizei nun im Rahmen der Fachaufsichtsbeschwerde.
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Szenen wie diese fotografiert ein Student in Karlsruhe fast täglich. Nun beschwert er sich, die Karlsruher Polizei reagiere nicht angemessen auf Verkehrsgefährdungen.
Dieses Fahrzeug soll an einem Februarabend an der Kreuzung Sophienstraße/Scheffelstraße gestanden haben – und am Abend darauf immer noch. Fotos: Rest
Das schwarze Auto parkte rechtswidrig im Kreuzungsbereich und auf dem Gehweg. Letzteres kostet 20 Euro, auf dem Strafzettel standen 15 Euro.