Montag, 15. Februar 2021

Die Elektrifizierung des Verkehrs ist schon erfolgt

 

BNN-Artikel vom 15.02.2021

Die Elektrifizierung des Verkehrs ist schon erfolgt

Verkehrswissenschaftlerin Angela Francke ist die erste Radprofessorin in der Geschichte der Karlsruher Hochschulen

Multimodal: Ein funktionierendes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer ist für Radprofessorin Angela Francke ein wichtiger Baustein bei der Förderung des Radverkehrs.Archivfoto: Jörg Donecker

Am 1. März tritt Angela Francke ihre neue Stelle als Stiftungsprofessorin für Radverkehr an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft an. Die geborene Dresdnerin (Foto: Angela Francke) bekleidet eine der sieben Radprofessuren, die vom Bundesverkehrsministerium zur Erforschung und zur Weiterentwicklung des Radverkehrs gefördert werden. Mit BNN-Redakteur Ekart Kinkel hat sich die promovierte Verkehrswissenschaftlerin über ihre Ziele und Vorstellungen unterhalten.

BNN: Liebe Frau Francke. Glückwunsch zur neuen Stelle. Waren Sie eigentlich schon einmal in Karlsruhe?

Francke: Vielen Dank! Ich war schon mehrmals dort und bin mit dem Fahrrad durch die Stadt geradelt. Ich war regelrecht begeistert von der Fülle an Fahrradstraßen und den vielen Abstellmöglichkeiten. Man merkt sehr schnell, dass Karlsruhe eine Fahrradstadt ist. Das hat mich positiv beeindruckt.

BNN: Beim Fahrradklimatest des ADFC will Karlsruhe im März seinen Titel als fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands verteidigen. Wenn man genauer hinsieht, merkt man aber, dass selbst die fahrradfreundlichen Städte nur mäßige Noten erhalten werden. Woran liegt das?

Francke: Bei solchen Rankings gewinnt wohl eher die am wenigsten fahrradunfreundliche Stadt. In vielen Städten herrscht beim Fahrradverkehr noch sehr viel Nachholbedarf. Ein zusammenhängendes Radwegenetz ist da eine Grundvoraussetzung für eine Fahrradstadt. Ich habe aber gesehen, dass das Fahrrad in Karlsruhe eine große Rolle spielt. Selbst bei fünf Grad Celsius im Regen sind hier viele Radfahrende unterwegs. Da merkt man schnell, dass das Fahrrad hier bei jedem Wetter als Verkehrsmittel gern genutzt wird.

BNN: Was hat Sie eigentlich zu der Bewerbung als Radprofessorin bewogen?

Francke: Ich möchte den Radverkehr in Deutschland weiterbringen, und dabei das Fahrrad im Zusammenspiel aller Verkehrsteilnehmenden betrachten. Wir sind schließlich nicht nur Radfahrende, sondern nutzen auch den öffentlichen Nahverkehr oder fahren gelegentlich mit dem Auto. Dieser multimodale Ansatz ist mir wichtig. Außerdem möchte ich gern zeigen, dass das Fahrrad ein Verkehrsmittel der Zukunft ist und sich Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur lohnen. Dafür brauchen wir gut ausgebildete Fachkräfte in Verwaltungen und Ingenieurbüros, die Umplanungen und Neuplanungen vorantreiben können.

BNN: Wurde das Thema Radverkehr in der akademischen Ausbildung bislang vernachlässigt?

Francke: Radverkehr war an Hochschulen bisher eher als Nische vorhanden. Nun bekommt es einen deutlich höheren Stellenwert, sodass wir den Radverkehr in der Ausbildung fest verankern können. Den Nationalen Radverkehrsplan der Bundesregierung gibt es schon seit vielen Jahren. Die sieben neuen Radprofessuren sind jetzt der nächste Schritt.

BNN: Warum sollen die Leute in der Stadt überhaupt Fahrrad fahren?

Francke: In der Stadt ist das Fahrrad bei Wegen bis circa fünf Kilometern das beste Verkehrsmittel. Es ist schnell, flexibel, günstig, gesund und umweltfreundlich. Dabei ist mir der Nachhaltigkeitsgedanke besonders wichtig.

BNN: Und wie kann der Radverkehrsanteil mit machbaren Mitteln in urbanen Ballungsräumen künftig erhöht werden?

Francke: Ein Ziel ist eine mitwachsende Infrastruktur. Bei Um- und Neubauprojekten muss stärker an den Radverkehr gedacht werden. Momentan ist es häufig so, dass der Radverkehr eher Restflächen bekommt. Das kann man auch umdrehen. Infrastruktur hat hier auch eine Signalwirkung. Auch Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig, da dadurch die Wahrnehmung für den Radverkehr gestärkt wird.

BNN: Die Pläne für den Ausbau der Radinfrastruktur sind in Karlsruhe schon vorhanden. Trotzdem ist bei der Planung von neuen Radfahrrouten immer wieder auch von der Verdrängung des Autoverkehrs die Rede. Wie kann man in diesem Konfliktfeld für Entspannung sorgen?

Francke: In den vergangenen Jahrzehnten gab es eine stark autozentrierte Planung. In den 1960er und 1970er Jahren wurden ganze Straßenzüge weggerissen, um Zufahrtsstraßen in Innenstädte zu schaffen. Dieser Ansatz ist mittlerweile überholt. Der Platz in den Innenstädten ist begrenzt, sodass nur eine gemeinsame Planung für alle Verkehrsteilnehmenden sinnvoll ist.

BNN: Was bedeutet das konkret für den Autoverkehr?

Francke: Für jeden Weg gibt es ein ideales Verkehrsmittel, und das kann für manche Ziele auch weiterhin das Auto sein. Das heißt nicht, dass jeder deswegen ein Auto besitzen muss. Wichtig ist, dass es Alternativen zum eigenen Pkw gibt. Da geht es auch um ökologische und ökonomische Gesichtspunkte.

BNN: Karlsruhe ist mit seiner ebenen Topografie ideal für den Radverkehr geeignet. Wie schaut es aber in ländlichen und hügeligen Regionen aus? Muss man da auf einen Siegeszug der Pedelecs hoffen …

Francke: … da braucht man nicht mehr drauf zu hoffen. Wer die Verkaufszahlen von Pedelecs und E-Bikes betrachtet, merkt schnell: Die Elektrifizierung im Straßenverkehr hat schon längst stattgefunden. Personen, die aus verschiedenen Gründen nicht Fahrrad gefahren sind, können nun beispielsweise 20 Kilometer bequem pendeln oder auch bergige Strecken gut bewältigen.

BNN: Haben Sie auch schon ein Pedelec?

Francke: Nein, ich fahre noch ein rein muskelbetriebenes Fahrrad (lacht). Aber wenn man sich mal an den Komfort eines Pedelecs gewöhnt hat, ist der Umstieg zurück schwierig.

BNN: Sie haben auch ein Faible für historische Fahrräder und beschäftigen sich intensiv mit der Geschichte der Fahrradentwicklung. Ist da eine Professur in der Geburtsstadt von Fahrraderfinder Karl Drais eine besondere Herausforderung?

Francke: Auf jeden Fall. Ich sammle seit meiner Jugend historische Fahrradtypenschilder und Fahrräder. Das ist ein Familienhobby und somit haben sich über die Zeit auch viele Fahrräder angesammelt.

BNN: Ist das Fahrrad mit dem Pedelec eigentlich fertig entwickelt oder steht uns die nächste Revolution auf dem Gebiet der zweirädrigen Mobilität unmittelbar bevor?

Francke: Bei den Antriebsarten wird sich sicher noch etwas tun, das sind aber keine großen Innovationen mehr. Viel Entwicklungspotential sehe ich beim Thema Sicherheit. Da wäre es wünschenswert, dass durch Sensortechnik die Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmenden möglich ist. Hauptursache von Fahrradunfällen sind immer noch Fahrfehler. Durch die Pedelecs sind die Unfallfolgen schwerwiegender geworden. Hier ist es lohnend, mehr zu forschen, um das Radfahren insgesamt sicherer zu machen.

BNN: Und welches Fahrrad werden Sie mit nach Karlsruhe nehmen?

Francke: Ich überlege, ein historisches französisches Rad mit nach Karlsruhe zu nehmen. Bisher habe ich auch mit dem Bike-Sharing in Karlsruhe schon gute Erfahrungen gemacht. Zusätzlich haben wir an der Fahrradprofessur mehrere Fahrräder, sodass ich die Stadt definitiv radelnd erkunden werde.


Freitag, 12. Februar 2021

Mit Rückenwind in die Pedale treten


BNN vom 12.02.2021 

Mit Rückenwind in die Pedale treten

von Elisabet Loris-Quint Karlsruhe-Nordstadt

Wachsende Ansprüche: Der Radverkehr braucht heute eine flächendeckende Infrastruktur, die Qualität hat, findet BNN-Leserin Elisabet Loris-Quint. Die Aufnahme entstand beim Einzeichnen des Radwegs in der Baumeisterstraße in der Südstadt. Archivfoto: Jörg Donecker

Zum ADAC-Mobilitätsbericht und zum Artikel „Karlsruhe ist ganz hinten und ganz vorne dabei“ vom 30. Januar:

Fahrradfahren ist für mich das Fortbewegungsmittel Nummer eins zur Arbeit, zum Einkaufen, in der Freizeit, auf Touren. Nun würde ich die Fahrrad-Situation in Karlsruhe auch gerne so sehen, wie sie in dem ADAC-Mobilitätsbericht zu lesen ist. Ob hier wohl nur Sonntagsradfahrende ihre Urteile fällten?

Ja, wer in Karlsruhe viel mit dem Fahrrad fährt, freut sich häufig sehr, wie schön das ist, fährt aber auch nicht selten auf wundersame Stellen zu, die viele Fragen, oft Verständnislosigkeit und ab und an auch echten Zorn hervorrufen. „Der Verkehr muss ganzheitlich betrachtet werden“, „Auch bei der Verkehrssicherheit ist ein ganzheitliches Konzept vonnöten“, „Alternativen zum Auto müssen attraktiver gemacht werden“ so steht es geschrieben – welch schöne Forderungen – einerseits.

Andererseits stoßen wir auch immer wieder hier in dieser Zeitung auf die verbitterten Stimmungen derer, die zu Fuß gehen, Rad fahren, Auto fahren. Es scheint kein Verständnis der einen für die anderen vorhanden zu sein, und die Ansichten derjenigen, die sich jeweils im Recht wissen, sind wie ein Ping-Pong-Spiel. Wo ist das Verständnis des Miteinanders oder wird es Zeit, die gegensätzlichen Meinungen zum Gehen, Radfahren und Autofahren ernst zu nehmen, sie anzuhören und zu analysieren?

Könnte es eine Chance sein, mit der viel gepriesenen Thematik der Verkehrswende gemeinsame Lösungsansätze zu finden? Noch kommt in Wahrheit nach der ersten freudigen Interpretation des in Gedanken Wollens die Ernüchterung: Assoziiert der Begriff nicht, dass eine nachhaltige Verkehrswende vollzogen werden soll, die schon längst überfällig ist? Auch Karlsruhe hinkt der Zeit hinterher, und die Überlegungen sind naheliegend, wie der Lebensraum Stadt nicht nur heute, sondern besonders morgen aussehen könnte, mit Annehmlichkeiten für alle, die zu Fuß gehen, Rad oder Auto fahren – für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren.

Sicher hat sich in jüngster Zeit schon viel in Karlsruhe in Sachen Radfahren getan. Doch es bleibt die Frage, ob die wachsenden Ansprüche an einen zeitgemäßen Radverkehr mit dem größer werdenden Verlangen nach Komfort ans Radfahren Schritt hält? Oder ist manches, was früher fortschrittlich erschien, heute von gestern? Heute braucht es eine flächendeckende Infrastruktur für den Radverkehr, die Qualität hat und zukunftsfähig ist mit einem hochwertigen Wegenetz. Vielleicht grenzt der Gedanke, dass Karlsruhe ein Fuß- und Fahrradparadies mit sicheren, komfortablen, durchgehenden Verkehrswegen werden könnte, an Träumerei, aber in dem leidigen vergangenem Jahr hat sich gezeigt, was alles geht, was vorher nicht vorstellbar war. Und wir vom ADFC Karlsruhe denken auch daran, was alles mit dem Rad im Verkehr laufen kann – wenn man denn will.

Daher liebe Lesende lasst uns zusammen mit aufmerksamem wachem Blick ein dickes Buch verfassen, in dem die angenehmen und kuriosen Verkehrssituationen in und um Karlsruhe festgehalten werden. Lasst uns liebe Verkehrsplanende die Schönheiten, Gefahrenstellen und Unmöglichkeiten gemeinsam erkunden und erforschen, auch mit den Augen der Kinder und Älteren.

Schreibt uns, liebe bewegungsfreudige Promenierende und Radelnde und verdeutlicht, was für den Fuß- und Radverkehr gut gelöst ist, was besser werden kann, was besser werden muss. Teilt uns – per E-Mail an karlsruhe@adfc-bw.de – Eure Gedanken mit, unterstreicht die Fakten mit Bildmaterial. Wir freuen uns darüber mit Euch gemeinsam Ideen für ein lebenswertes, fuß- und fahrradfreundliches Karlsruhe zu finden.